Dienstag, 7. Juli 2015

Abenteuertour ins Orinoco-Delta, Delta Amacuro, Tucupita (2/2) 25.4.-29.4.2015

Aktualisiert: 07.07.2015

2. Teil

(hier erster Teil)
In der Nacht war das "Campamento" mit Kerosinlampen erleuchtet. Ich hörte beim Einschlafen ein Geräusch (raschelnde Plastiktüten) und sah im Lampenschein ein Tier. So groß wie ein großes Meerschweinchen. Im Halbschlaf sah ich nicht so viel, die Kopflampe hatte ich irgendwo verstaut, die Kamera auch. Nach einer Zeit stand ich auf und suchte in Erinnerung und im Dunkeln tapsend meinen Rucksack, darin die Kopflampe. Als ich das Tier anstrahlte, hatte es den Kopf in den Korb mit den Früchten gesteckt. Die schützende Plastiktüte hatte es aufgerissen. Mit dem Licht erleuchtet, blieb es aber ganz ungerührt, ließ sich nicht stören und fraß weiter. Wir mussten aufstehen um es vom Tisch zu schubsen. Es war ein Opposum, hier im Delta Manicu oder Rabipelado genannt. Es war ein noch junges Tier. Hinterher habe ich mich geärgert kein Foto gemacht zu haben.
Vor einigen Jahren erzählte mir jemand in Caracas, dass es dort auch in der Innenstadt Opossums geben würde. Die Besitzerin eines Kiosks wollte jemanden finden, die es töten, weil die Tiere nachts in den Kiosk einbrachen und die Süßigkeiten auffraßen.

An nächsten Morgen fuhren wir früh mit den Kanu durch die kleinen Caños. Wir hörten die Brüllaffen (Aluatta macconnelli) zwar, aber sahen sie nicht. Eine Rotte Kapuzineraffen (Cebus olivaceus) streiften laut durch den Wald, da ich aber aus Vorsicht die Nikon nicht mitgenommen hatte, wurden die Fotos nichts. Da ich aber im engen Kanu ein gutes Gleichgewicht hatte, habe ich die Nikon bei den anderen Touren mit dem Kanu dann später doch mitgenommen. Der Wasserstand war niedrig, so hätten wir mit dem Boot nicht fahren können.

Kleiner Caño im Delta des Orinoco.
Übrigens ist das Wasser noch deutlich salzig, trotzdem wir noch weit vom Meer entfernt waren. Eine Ebbe und Flut sind sichtbar.
weiter...


Rote Mangrove (Rhizophora mangle).
Yulián kennt die spanischen Namen der Bäume und anderer Pflanzen und dazu immer den Nutzen für die Warao, sei es ein medizinischer oder den praktischen Nutzen.
Am Tag machte ich mit Yulián eine Wanderung durch den Wald am Campamiento. Man muss etwas aufpassen, denn einige Stellen sind so weich und modrig, dass man beim Auftreten tief einsinken kann und dann kaum noch mit dem Gummistiefel wieder aus dem Sumpf kommt. Am besten ist es dort hinzutreten, wo auch der Warao hintritt. Ich habe auch Stellen in der Nähe von Bäumen und Büschen genutzt, die sind durch deren Wurzeln etwas fester, oder man triff gleich auf die sichtbaren Wurzeln. Manchmal kann man sich auch an den Bäumen etwas festhalten um das Gleichgewicht zu halten, muss aber aufpassen und hinsehen damit man keine Bactris-Palme erwischt, deren Stamm ist mit langen, spitzen Stacheln übersät. Es ist heiß und schwül und so ist das Laufen im Wald schon etwas anstrengend. Ich hatte eine Flasche Wasser mitgenommen. Während der Wanderung erklärte mir Yulián die Bäume und Pflanzen. Er hatte eine Machete mitgenommen und konnte so die Rinde anschneiden und den Weg etwas freimachen. Allerdings fand ich diesen Wald nicht ganz so undurchdringlich.

Der "Baum des Lebens" für die Warao ist die Moriche-Palme (Mauritia flexuosa). Die Früchte sind innen mehlig gelb und können gegessen werden. In gefällten Stämmen, die einige Zeit rotten finden die Warao eine essbare Käferlarve (Rhynchophorus palmarum). Aus den Fasern der Palmwedel stellen die Frauen der Warao Schalen und die Hängematten her. Die Herstellung einer Hängematte dauert mehrere Monate. Das Material ist sehr angenehm und weich, sie hält ca. drei Jahre im feuchten Klima des Deltas. Bei meiner letzten Reise habe ich aber festgestellt, dass nun die aus festem Plastikgarn gefertigten "Chinchorros" (= netzartig gefertigte Hängematte) genutzt werden.



Moriche (Mauritia flexuosa).



Moriche (Mauritia flexuosa), Früchte.
Rhynchophorus palmarum.

Der austretende Saft der Rinde der Lacre (Vismia macrophylla) soll gegen Hautpilz helfen. 
Lacre (Vismia macrophylla).


Lacre (Vismia macrophylla).
Die Palme Palmito (Euterpe oleracea) wird vielfältig genutzt. Der Kern im Stamm kann gegessen werden (Palmherzen), aus den Ansätzen der Palmwedel können Schalen gefertigt werden. Früher wurden im Delta Amacuro die Palmherzen in Dosen eingekocht und exportiert, aber die Anzahl dieser Palmen ist dadurch so zurückgegangen, dass sich das heute nicht mehr lohnt. Die Stämme werden von den Warao auch für den Boden des Hauses genutzt.

Palmito (Euterpe oleracea), Schale.
Palmito (Euterpe oleracea), Palmwedel.

 
Palmito (Euterpe oleracea), Krone.


Palmito (Euterpe oleracea), essbares Palmherz.
Palmito (Euterpe oleracea),
auf der Innenseite des abgeschnittenen und abgelösten Teile des Stammes
kann geschrieben werden.

Mit den Palmwedeln der Temiche (Manicaria saccifera) werden die Häuser der Warao gedeckt. Die Früchte enthalten Wasser das man trinken kann und die Fasern, die diese Früchte umgeben können als Hut/Mütze genutzt werden und nehmen den Schweiß beim Arbeiten auf.

Temiche, Reste des Fruchtansatzes (Manicaria saccifera).
Temiche (Manicaria saccifera), Palmwedel.


Temiche (Manicaria saccifera), Fasern überziehen die Früchte.




Temiche (Manicaria saccifera), angeschnittene Frucht
mit Fruchtwasser.

Temiche (Manicaria saccifera), reife Frucht.


Temiche (Manicaria saccifera), Herstellung der Mütze aus den Fasern.

Temiche (Manicaria saccifera), Stamm.
 
Aus dem Holz des Cachicamo (Calophyllum brasiliense) können die Kanus der Warao hergestellt werden. Auch andere Bäume werden dazu genutzt.
Cachicamo (Calophyllum brasiliense).
Cachicamo (Calophyllum brasiliense).
 Aus der Kletterpflanze Mamure (Asplundia moritziana) können feste Schnüre gefertigt werden.

Mamure (Asplundia moritziana).
Mamure (Asplundia moritziana), Herstellung von Schnüren.


Mamure (Asplundia moritziana), Blätter.
Die Rinde des Baumes Peramancillo (Symphonia globulifera) soll als Tee getrunken gegen Durchfall helfen.

Peramancillo (Symphonia globulifera), Blätter.


Peramancillo (Symphonia globulifera), Stamm.


Peramancillo (Symphonia globulifera),
angeschnittene Rinde mit gelb austretendem Saft.
Peramancillo (Symphonia globulifera), Blüten.


Peramancillo (Symphonia globulifera), Früchte, durchgeschnitten.
Der Ceibo (Ceiba sp.)ist ein bis zu 50m hoher Baum mit breiten Brettwurzeln. Aus seinem Holz werden die Kanus der Warao gefertigt.



Ceibo (Ceiba sp.), Brettwurzeln. Zum Größenvergleich Yulián.
Der nach Anschnitt der Rinde austretende rote Saft des Sangrito (Pterocarpus sp.) ist adstringent (zusammenziehend) und kann als Wundverschluss (Pflaster) genutzt werden.

Sangrito  (Pterocarpus sp.), angeschnittene Rinde.


Sangrito  (Pterocarpus sp.), Stamm.


Sangrito  (Pterocarpus sp.), Blätter.
 Das Holz des Carapo (Carapa guianensis) wird beim Hausbau verwendet.

Carapo (Carapa guianensis), Anschnitt der Rinde.


Carapo (Carapa guianensis), Blätter.
Nach ca. zwei Stunden sagte Yulián er hätte sich verlaufen, was ich ihm nicht geglaubt habe. Sicher wollte er mir Angst machen, aber ich hatte das Gefühl und von meinem Orientierungssinn her, wir wären schon sehr nah am Campamento, 10 Minuten später sahen wir es dann auch.

An den Rändern von breiten Flüssen im Delta, aber auch in geringerer Anzahl an den Rändern der Caños wachsen die Wasserkastanien, "Cacao de agua" (Pachira acuatica). Die Früchte schmecken leicht süß und etwas nach Kakao, die Blüten duften intensiv.
Cacao de agua (Pachira acuatica).


Wasserkastanie (Pachira acuatica), Blüte.


Cacao de agua (Pachira acuatica), aufgeschnittene Frucht.
Cacao de agua (Pachira acuatica), Frucht.
Die gelb blühende Goldtrompete (Allamanda cathartica) in Venezuela "Jazmín Falcón" genannt, ist häufig an den Flussränder zu sehen.
 
Goldtrompete (Allamanda cathartica).
Goldtrompete (Allamanda cathartica), Blüte.
Die großen braunen Samen der Mucuna rostrata (in Venezuela Guaraguao, Jijije, Ojo de burro, Ojo de zamuro genannt) werden für die Herstellung von Ketten und Armbändern verwendet. Die Samenhülle dieser Kletterpflanze kann einen juckenden Hautausschlag verursachen.


(Mucuna rostrata ), Blüte und Frucht.

Der eindrucksvolle Kanonenkugelbaum (Couroupita guianensis) (in Venezuela Taparón genannt)  wächst im Delta des Orinoko und hat keinen besonderen Nutzen.

Taparón, Kanonenkugelbaum (Couroupita guianensis).


Taparón, Kanonenkugelbaum (Couroupita guianensis).

Der Zieringwer (Costus sp.) wächst im Delta aber wird auch in Gärten angepflanzt. Er soll gegen Fieber und Husten helfen.

Costus sp.

Costus sp.
In der nächsten Nacht machte ich mit Yulián eine Fahrt im Kanu um die nachtaktiven Tiere zu beobachten. Der Mond schien stark und so fanden wir kaum Tiere. In der Nacht erkennt man die Tiere daran, dass man mit der Lampe den Urwald ausleuchtet und auf die reflektierenden Augenhintergründe (Netzhaut) der Tiere achtet. Was wir sehen konnten, waren Taranteln, deren großen Augen im Licht zurück strahlten. Auf dem Rückweg in der Nähe des Campamento sah ich dann zwei Augen leuchten und bei näherer Betrachtung war es das junge Opposum, das am Flußufer in einem Busch steckte. Fotografieren war schwierig, weil eine Kamera immer Licht braucht. Also habe ich versucht mit der Kopflampe genug Licht zu erzeugen, damit die Kamera scharf stellen kann. Ganz scharf ist das Foto nicht geworden, aber man kann noch die Reflexion der Augen erkennen.


Manicou, ein Opossum
Besser gelang es mit diesen kleinen Vögeln, die über dem Caño auf einem Ast saßen und schliefen.

Ein kleiner, noch junger Vogel auf Montrichcardia arborescens sitzend.
Morpho achilles (Linnaeus, 1758)
In Mondlosen Nächten gibt es mehr Tiere zu sehen, sagte mir Yulián.



Die große Familie (8 Kinder) ernährt Yulián indem er Yucca, Batata, Ocumo, Platano (= Kochbanane) in sogenannten "Conucos" anbaut. Dazu fällt er einen Teil des Urwalds und brennt ihn ab. Zwei Jahre kann er den so gewonnenen Platz nutzen um Gemüse anzubauen, danach muss er eine neue Stelle suchen. Bis diese Stelle wieder neu bewaldet ist, dauert es aber mehr als die zwei Jahre. Abgebrannte Flächen können sich nicht mehr zu einem ursprünglichen Wald (Primärwald) mit einer hohen Artenvielfalt entwickeln, es entstehen Wälder (Sekundärwälder), die weniger Arten enthalten. Yulián hat fünf "Conucos" in der Umgebung seines Hauses in Benutzung.
Die Pflanzen setzt er nach Mondphasen, bei Vollmond wird gepflanzt.

Abbrennen von Flächen im Delta des Orinoko (hier flussnah zum Hausbau)
Nebenbei hat er seit wenigen Monaten angefangen, Lebensmittel aus Tucupita (Weizenmehl, Maismehl, Öl, Zucker etc.), Seife und Waschmittel an seine Nachbarn zu verkaufen. Er erzählte mir, das er am Anfang nur Verlust gemacht hätte, weil seine Familie groß sei und er zu viel verschenkt hätte.
Die Frauen der Familie, wie alle Warao, stellen mit aus der Moriche-Palme (Mauritia flexuosa) gewonnene Fasern, Schalen her. Armbänder und Ketten werden aus bunten Samen einiger Urwaldpflanzen hergestellt und an die Touristen verkauft. Aus Balsaholz (Ochroma pyramidale) werden Tierfiguren oder kleine Kanus hergestellt.
Palmfasern der Moriche-Palme (Mauritia flexuosa).

Schale aus Morichefasern.
Yulián war ganz klar, das wenn er kein Gemüse anpflanzt, dann kann er die Familie nicht ernähren. Einen Teil unseres Gemüses fürs Essen während der Tour haben wir bei ihm gekauft.

Was Humboldt sagte...

[...] Das linke oder nördliche Ufer des Orinoco, das sich durch das Delta nach der Boca de Mariusas und der Punta Baja verlängert, ist extrem niedrig: Aus der Ferne kann man es nur an den Gruppen der Mauritia-Palme erkennen, welche die Durchfahrt verschönern. Dieses Gewächs ist der Sagobaum des Landes; das Mehl des yuruma-Brotes wird daraus gewonnen und weit entfernt, eine Küstenpalme zu sein wie "Chamaerops humilis" der gemeine Cocosbaum und Commersons Lodoicea, wächst die Mauritia als Palmbaum des Sumpflands bis zu den Quellen des Orinoco. Zur Zeit der Überschwemmungen haben diese Gruppen der fächerblättrigen Mauritia das Ansehen eines sich aus den Wassern erhebenden Waldes. Der Seefahrer, der zur Nachtzeit über die Kanäle des Orinoco-Deltas fährt, wird überrascht, wenn er die Gipfel der Palmbäume durch große Feuer beleuchtet sieht. Es sind die an Baumstämmen aufgehängten Wohnungen der Guaraúnos (Tivitivas und Uarauetis Raleighs) [Warao]. Diese Völker spannen Matten in der Luft aus, füllen sie mit Erde und zünden über dem feuchten Tonboden die für ihren Haushalt nötigen Feuer an. Seit Jahrhunderten verdanken sie ihre Freiheit und ihre Unabhängigkeit dem beweglichen und schlammigen Boden (den sie in der Trockenzeit durchstreifen und worauf sie allein sicheren Fußes wandern können) sowie ihrer Isolation im Delta des Orinoco und ihrem Aufenthalt auf Bäumen, wohin wahrscheinlich kaum jemals religiöse Schwärmerei amerikanische Styliten hinführen dürfte. Ich habe bereits daran erinnert, dass die Maurita-Palme, der Lebensbaum der Missionare, den Guararinos nicht bloß eine sichere Wohnung während des Hochwassers des Orinoco, sondern mit seinen schuppigen Früchten, seinem mehligen Mark, seinem an Zuckerstoff reichen Saft und endlich mit den Fasern seiner Blattstiele auch Nahrungsmittel, Wein, und Fasern zur Verfertigung von Seilen und zum Flechten von Hängematten gewährt.[...]
Es ist eine merkwürdige Erscheinung, dass auf der niedrigsten Stufe menschlicher Zivilisation die Existenz einer ganzen Völkerschaft von einer einzigen Art des Palmbaums abhängt, den Insekten vergleichbar, die sich nur von einer Blüte oder vom einzelnen Teil eines Gewächses ernähren.

(aus Band II-3 Die Forschungsreise in den Tropen Amerikas der Darmstädter Ausgabe; siehe Bücherliste)

Ich hatte eine der schwer zu findenden Zeichnung aus dem 16. Jahrhundert von Theodor De Bry gesehen, die das Wohnen der Warao hoch auf den Bäumen illustrierte. Dazu befragte ich Yulián, der mir bestätigte, dass seine Vorfahren das auch berichtet hätten und das dies war sei. Heute sind die Wohnungen der Warao nicht mehr auf den Bäumen, jedoch noch auf Pfählen. Die Wichtigkeit der Moriche-Palme für die Warao hat dagegen nicht abgenommen.
Auch hatte ich in einem der größeren Warao-Dörfern gesehen, wie in den an den Seiten offenen Häusern große Feuer betrieben wurden (ohne das das Haus in Brand geriet).

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