2. Teil
(hier erster Teil)In der Nacht war das "Campamento" mit Kerosinlampen erleuchtet. Ich hörte beim Einschlafen ein Geräusch (raschelnde Plastiktüten) und sah im Lampenschein ein Tier. So groß wie ein großes Meerschweinchen. Im Halbschlaf sah ich nicht so viel, die Kopflampe hatte ich irgendwo verstaut, die Kamera auch. Nach einer Zeit stand ich auf und suchte in Erinnerung und im Dunkeln tapsend meinen Rucksack, darin die Kopflampe. Als ich das Tier anstrahlte, hatte es den Kopf in den Korb mit den Früchten gesteckt. Die schützende Plastiktüte hatte es aufgerissen. Mit dem Licht erleuchtet, blieb es aber ganz ungerührt, ließ sich nicht stören und fraß weiter. Wir mussten aufstehen um es vom Tisch zu schubsen. Es war ein Opposum, hier im Delta Manicu oder Rabipelado genannt. Es war ein noch junges Tier. Hinterher habe ich mich geärgert kein Foto gemacht zu haben.
Vor einigen Jahren erzählte mir jemand in Caracas, dass es dort auch in der Innenstadt Opossums geben würde. Die Besitzerin eines Kiosks wollte jemanden finden, die es töten, weil die Tiere nachts in den Kiosk einbrachen und die Süßigkeiten auffraßen.
An nächsten Morgen fuhren wir früh mit den Kanu durch die kleinen Caños. Wir hörten die Brüllaffen (Aluatta macconnelli) zwar, aber sahen sie nicht. Eine Rotte Kapuzineraffen (Cebus olivaceus) streiften laut durch den Wald, da ich aber aus Vorsicht die Nikon nicht mitgenommen hatte, wurden die Fotos nichts. Da ich aber im engen Kanu ein gutes Gleichgewicht hatte, habe ich die Nikon bei den anderen Touren mit dem Kanu dann später doch mitgenommen. Der Wasserstand war niedrig, so hätten wir mit dem Boot nicht fahren können.
Kleiner Caño im Delta des Orinoco. |
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Rote Mangrove (Rhizophora mangle). |
Am Tag machte ich mit Yulián eine Wanderung durch den Wald am Campamiento. Man muss etwas aufpassen, denn einige Stellen sind so weich und modrig, dass man beim Auftreten tief einsinken kann und dann kaum noch mit dem Gummistiefel wieder aus dem Sumpf kommt. Am besten ist es dort hinzutreten, wo auch der Warao hintritt. Ich habe auch Stellen in der Nähe von Bäumen und Büschen genutzt, die sind durch deren Wurzeln etwas fester, oder man triff gleich auf die sichtbaren Wurzeln. Manchmal kann man sich auch an den Bäumen etwas festhalten um das Gleichgewicht zu halten, muss aber aufpassen und hinsehen damit man keine Bactris-Palme erwischt, deren Stamm ist mit langen, spitzen Stacheln übersät. Es ist heiß und schwül und so ist das Laufen im Wald schon etwas anstrengend. Ich hatte eine Flasche Wasser mitgenommen. Während der Wanderung erklärte mir Yulián die Bäume und Pflanzen. Er hatte eine Machete mitgenommen und konnte so die Rinde anschneiden und den Weg etwas freimachen. Allerdings fand ich diesen Wald nicht ganz so undurchdringlich.
Der "Baum des Lebens" für die Warao ist die Moriche-Palme (Mauritia flexuosa). Die Früchte sind innen mehlig gelb und können gegessen werden. In gefällten Stämmen, die einige Zeit rotten finden die Warao eine essbare Käferlarve (Rhynchophorus palmarum). Aus den Fasern der Palmwedel stellen die Frauen der Warao Schalen und die Hängematten her. Die Herstellung einer Hängematte dauert mehrere Monate. Das Material ist sehr angenehm und weich, sie hält ca. drei Jahre im feuchten Klima des Deltas. Bei meiner letzten Reise habe ich aber festgestellt, dass nun die aus festem Plastikgarn gefertigten "Chinchorros" (= netzartig gefertigte Hängematte) genutzt werden.
Moriche (Mauritia flexuosa). |
Moriche (Mauritia flexuosa), Früchte. |
Rhynchophorus palmarum. |
Der austretende Saft der Rinde der Lacre (Vismia macrophylla) soll gegen Hautpilz helfen.
Lacre (Vismia macrophylla). |
Lacre (Vismia macrophylla). |
Palmito (Euterpe oleracea), Schale. |
Palmito (Euterpe oleracea), Palmwedel. |
Palmito (Euterpe oleracea), Krone. |
Palmito (Euterpe oleracea), essbares Palmherz. |
Palmito (Euterpe oleracea), auf der Innenseite des abgeschnittenen und abgelösten Teile des Stammes kann geschrieben werden. |
Mit den Palmwedeln der Temiche (Manicaria saccifera) werden die Häuser der Warao gedeckt. Die Früchte enthalten Wasser das man trinken kann und die Fasern, die diese Früchte umgeben können als Hut/Mütze genutzt werden und nehmen den Schweiß beim Arbeiten auf.
Temiche, Reste des Fruchtansatzes (Manicaria saccifera). |
Temiche (Manicaria saccifera), Palmwedel. |
Temiche (Manicaria saccifera), Fasern überziehen die Früchte. |
Cachicamo (Calophyllum brasiliense). |
Cachicamo (Calophyllum brasiliense). |
Mamure (Asplundia moritziana). |
Mamure (Asplundia moritziana), Herstellung von Schnüren. |
Mamure (Asplundia moritziana), Blätter. |
Peramancillo (Symphonia globulifera), Blätter. |
Peramancillo (Symphonia globulifera), Stamm. |
Peramancillo (Symphonia globulifera), angeschnittene Rinde mit gelb austretendem Saft. |
Peramancillo (Symphonia globulifera), Blüten. |
Peramancillo (Symphonia globulifera), Früchte, durchgeschnitten. |
Ceibo (Ceiba sp.), Brettwurzeln. Zum Größenvergleich Yulián. |
Sangrito (Pterocarpus sp.), angeschnittene Rinde. |
Sangrito (Pterocarpus sp.), Stamm. |
Sangrito (Pterocarpus sp.), Blätter. |
Carapo (Carapa guianensis), Anschnitt der Rinde. |
Carapo (Carapa guianensis), Blätter. |
An den Rändern von breiten Flüssen im Delta, aber auch in geringerer Anzahl an den Rändern der Caños wachsen die Wasserkastanien, "Cacao de agua" (Pachira acuatica). Die Früchte schmecken leicht süß und etwas nach Kakao, die Blüten duften intensiv.
Cacao de agua (Pachira acuatica). |
Wasserkastanie (Pachira acuatica), Blüte. |
Cacao de agua (Pachira acuatica), aufgeschnittene Frucht. |
Cacao de agua (Pachira acuatica), Frucht. |
Goldtrompete (Allamanda cathartica). |
Goldtrompete (Allamanda cathartica), Blüte. |
(Mucuna rostrata ), Blüte und Frucht. |
Der eindrucksvolle Kanonenkugelbaum (Couroupita guianensis) (in Venezuela Taparón genannt) wächst im Delta des Orinoko und hat keinen besonderen Nutzen.
Taparón, Kanonenkugelbaum (Couroupita guianensis). |
Taparón, Kanonenkugelbaum (Couroupita guianensis). |
Der Zieringwer (Costus sp.) wächst im Delta aber wird auch in Gärten angepflanzt. Er soll gegen Fieber und Husten helfen.
Costus sp. |
Costus sp. |
Manicou, ein Opossum |
Ein kleiner, noch junger Vogel auf Montrichcardia arborescens sitzend. |
Morpho achilles (Linnaeus, 1758) |
Die große Familie (8 Kinder) ernährt Yulián indem er Yucca, Batata, Ocumo, Platano (= Kochbanane) in sogenannten "Conucos" anbaut. Dazu fällt er einen Teil des Urwalds und brennt ihn ab. Zwei Jahre kann er den so gewonnenen Platz nutzen um Gemüse anzubauen, danach muss er eine neue Stelle suchen. Bis diese Stelle wieder neu bewaldet ist, dauert es aber mehr als die zwei Jahre. Abgebrannte Flächen können sich nicht mehr zu einem ursprünglichen Wald (Primärwald) mit einer hohen Artenvielfalt entwickeln, es entstehen Wälder (Sekundärwälder), die weniger Arten enthalten. Yulián hat fünf "Conucos" in der Umgebung seines Hauses in Benutzung.
Die Pflanzen setzt er nach Mondphasen, bei Vollmond wird gepflanzt.
Abbrennen von Flächen im Delta des Orinoko (hier flussnah zum Hausbau) |
Die Frauen der Familie, wie alle Warao, stellen mit aus der Moriche-Palme (Mauritia flexuosa) gewonnene Fasern, Schalen her. Armbänder und Ketten werden aus bunten Samen einiger Urwaldpflanzen hergestellt und an die Touristen verkauft. Aus Balsaholz (Ochroma pyramidale) werden Tierfiguren oder kleine Kanus hergestellt.
Palmfasern der Moriche-Palme (Mauritia flexuosa). |
Schale aus Morichefasern. |
Was Humboldt sagte...
[...] Das linke oder nördliche Ufer des Orinoco, das sich durch das Delta nach der Boca de Mariusas und der Punta Baja verlängert, ist extrem niedrig: Aus der Ferne kann man es nur an den Gruppen der Mauritia-Palme erkennen, welche die Durchfahrt verschönern. Dieses Gewächs ist der Sagobaum des Landes; das Mehl des yuruma-Brotes wird daraus gewonnen und weit entfernt, eine Küstenpalme zu sein wie "Chamaerops humilis" der gemeine Cocosbaum und Commersons Lodoicea, wächst die Mauritia als Palmbaum des Sumpflands bis zu den Quellen des Orinoco. Zur Zeit der Überschwemmungen haben diese Gruppen der fächerblättrigen Mauritia das Ansehen eines sich aus den Wassern erhebenden Waldes. Der Seefahrer, der zur Nachtzeit über die Kanäle des Orinoco-Deltas fährt, wird überrascht, wenn er die Gipfel der Palmbäume durch große Feuer beleuchtet sieht. Es sind die an Baumstämmen aufgehängten Wohnungen der Guaraúnos (Tivitivas und Uarauetis Raleighs) [Warao]. Diese Völker spannen Matten in der Luft aus, füllen sie mit Erde und zünden über dem feuchten Tonboden die für ihren Haushalt nötigen Feuer an. Seit Jahrhunderten verdanken sie ihre Freiheit und ihre Unabhängigkeit dem beweglichen und schlammigen Boden (den sie in der Trockenzeit durchstreifen und worauf sie allein sicheren Fußes wandern können) sowie ihrer Isolation im Delta des Orinoco und ihrem Aufenthalt auf Bäumen, wohin wahrscheinlich kaum jemals religiöse Schwärmerei amerikanische Styliten hinführen dürfte. Ich habe bereits daran erinnert, dass die Maurita-Palme, der Lebensbaum der Missionare, den Guararinos nicht bloß eine sichere Wohnung während des Hochwassers des Orinoco, sondern mit seinen schuppigen Früchten, seinem mehligen Mark, seinem an Zuckerstoff reichen Saft und endlich mit den Fasern seiner Blattstiele auch Nahrungsmittel, Wein, und Fasern zur Verfertigung von Seilen und zum Flechten von Hängematten gewährt.[...]Es ist eine merkwürdige Erscheinung, dass auf der niedrigsten Stufe menschlicher Zivilisation die Existenz einer ganzen Völkerschaft von einer einzigen Art des Palmbaums abhängt, den Insekten vergleichbar, die sich nur von einer Blüte oder vom einzelnen Teil eines Gewächses ernähren.
(aus Band II-3 Die Forschungsreise in den Tropen Amerikas der Darmstädter Ausgabe; siehe Bücherliste)
Ich hatte eine der schwer zu findenden Zeichnung aus dem 16. Jahrhundert von Theodor De Bry gesehen, die das Wohnen der Warao hoch auf den Bäumen illustrierte. Dazu befragte ich Yulián, der mir bestätigte, dass seine Vorfahren das auch berichtet hätten und das dies war sei. Heute sind die Wohnungen der Warao nicht mehr auf den Bäumen, jedoch noch auf Pfählen. Die Wichtigkeit der Moriche-Palme für die Warao hat dagegen nicht abgenommen.
Auch hatte ich in einem der größeren Warao-Dörfern gesehen, wie in den an den Seiten offenen Häusern große Feuer betrieben wurden (ohne das das Haus in Brand geriet).
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